Chancen, Risiken und Bedeutung in der modernen Hormonmedizin: Die hormonelle Balance spielt in jeder Lebensphase eine zentrale Rolle – nicht nur für die reproduktive Gesundheit, sondern auch für das körperliche und psychische Wohlbefinden. In den letzten Jahren hat ein Begriff verstärkt an Aufmerksamkeit gewonnen: bioidente Hormone. Sie gelten als körpernäher, besser verträglich und individuell dosierbar – und werden insbesondere in der Gynäkologie, der Menopausetherapie, aber auch in der Transgender-Medizin zunehmend verwendet. Doch was genau sind bioidente Hormone? Wann sind sie sinnvoll – und wo liegen ihre Grenzen?
Was sind bioidente Hormone?
Bioidente Hormone – auch als körperidentische oder naturidentische Hormone bezeichnet – sind hormonelle Wirkstoffe, deren chemische Struktur exakt mit der der körpereigenen Hormone übereinstimmt. Sie imitieren also nicht nur die Wirkung, sondern sind dem Hormon, das der menschliche Körper selbst produziert, molekular völlig gleich.
Die wichtigsten bioidenten Hormone sind:
- Östradiol (ein natürliches Östrogen)
- Progesteron (das körpereigene Gelbkörperhormon)
- Testosteron (das wichtigste männliche Sexualhormon, auch im weiblichen Körper in kleiner Menge wirksam)
- DHEA (eine Vorstufe von Östrogen und Testosteron)
- Melatonin, Thyroxin und andere hormonelle Substanzen
Bioidente Hormone werden meist aus pflanzlichen Rohstoffen wie Yamswurzel oder Sojabohnen gewonnen und dann mithilfe biotechnologischer Verfahren aufbereitet. Entscheidend ist nicht der pflanzliche Ursprung, sondern die exakte Nachbildung der natürlichen Hormonstruktur.
Unterschied zu synthetischen Hormonen
Im Gegensatz zu bioidenten Hormonen stehen synthetische Hormonpräparate, wie sie lange Zeit Standard in der Hormonersatztherapie waren. Diese enthalten hormonähnliche Substanzen, die so verändert wurden, dass sie patentierbar sind oder bestimmte pharmakokinetische Eigenschaften aufweisen. Beispiele sind:
- Ethinylestradiol in vielen Antibabypillen
- Medroxyprogesteronacetat oder Norethisteron in alten HRT-Präparaten
- Konjugierte equine Östrogene (aus Pferdeurin gewonnen)
Diese Substanzen wirken ebenfalls hormonell, sind aber dem körpereigenen Hormon nicht strukturgleich. Das kann Auswirkungen auf die Bindung an Rezeptoren, die Verstoffwechselung in der Leber, das Nebenwirkungsprofil und das Langzeitrisiko haben.
Bioidente Hormone in der Frauengesundheit
Wechseljahre – sanfte Balance statt Hitzewallungen
Die Menopause ist eine natürliche Phase im Leben jeder Frau, bringt aber für viele belastende Symptome mit sich: Hitzewallungen, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Libidoverlust, trockene Schleimhäute, Konzentrationsprobleme und langfristig erhöhtes Risiko für Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die klassische Hormonersatztherapie (HRT) galt lange als effektiv, wurde aber durch die Women’s Health Initiative (WHI)-Studie 2002 in Verruf gebracht. Heute wird differenzierter beurteilt – vor allem durch die gezielte Anwendung von bioidentem Östradiol und Progesteron, vorzugsweise in transdermaler Form (Gel, Pflaster), was Thromboserisiken reduziert.
Außerdem zeigen aktuelle Studien, dass mikronisiertes, bioidentes Progesteron (z. B. oral eingenommen in Form von Utrogestan®) eine deutlich bessere Verträglichkeit aufweist als synthetische Gestagene. Es wirkt nicht nur schlaffördernd durch seine GABAerge Wirkung im zentralen Nervensystem, sondern schützt auch zuverlässig die Gebärmutterschleimhaut vor einer unkontrollierten Proliferation, wenn gleichzeitig Östrogene gegeben werden.
PMS, Zyklusstörungen & Gelbkörperschwäche
Bereits lange vor den Wechseljahren kann es zu zyklusbedingten Beschwerden kommen, die auf eine hormonelle Dysbalance – meist einen relativen oder absoluten Progesteronmangel – zurückzuführen sind. Besonders häufig tritt das sogenannte prämenstruelle Syndrom (PMS) auf, das etwa jede dritte menstruierende Frau in unterschiedlicher Ausprägung betrifft.
Typische Symptome eines Progesteronmangels in der zweiten Zyklushälfte:
- Brustspannen und Wasseransammlungen
- Reizbarkeit, depressive Verstimmungen, innere Unruhe
- Migräne oder Spannungskopfschmerzen
- Zwischenblutungen oder verkürzte Zyklen
- Einschlafstörungen und unruhiger Schlaf
- Hautprobleme, z. B. Akne
Die Ursache liegt meist in einer unzureichenden Gelbkörperhormonproduktion nach dem Eisprung (Lutealinsuffizienz). Diese kann durch Stress, Alter, Schilddrüsenstörungen oder chronische Entzündungen begünstigt werden. In solchen Fällen kann die Gabe von bioidentem Progesteron – oral oder vaginal – helfen, die zweite Zyklushälfte zu stabilisieren, Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität deutlich zu verbessern.
Auch bei unerfülltem Kinderwunsch spielt Progesteron eine zentrale Rolle: In der Frühschwangerschaft ist es essenziell, um die Gebärmutterschleimhaut auf die Einnistung vorzubereiten und eine beginnende Schwangerschaft zu erhalten. Viele Reproduktionszentren setzen daher nach künstlicher Befruchtung (IVF/ICSI) auf eine sogenannte Lutealphasenunterstützung mit bioidentem Progesteron in Form von vaginalen Zäpfchen oder Kapseln.
Wichtig ist dabei die enge Zusammenarbeit mit Fachärzt*innen für Gynäkologie oder Endokrinologie, um Zyklusanalysen und ggf. Hormonprofile zu erstellen und die Therapie individuell zu gestalten.
Endometriose und PCOS
Frauen mit Endometriose oder polyzystischem Ovarsyndrom (PCOS) leiden unter teils massiven Hormonstörungen, die Schmerzen, Blutungsstörungen, Akne, Haarausfall oder Unfruchtbarkeit verursachen können. Eine feinabgestimmte Behandlung mit bioidentem Progesteron kann Entzündungen hemmen, die Schleimhaut stabilisieren und Symptome deutlich verbessern.
Bioidente Hormone in der Transgender-Medizin
Für trans Menschen ist die hormonelle Transition ein zentraler Schritt auf dem Weg zu ihrem selbstbestimmten Geschlecht. Auch hier kommen bioidente Hormone zum Einsatz – und zwar gezielt und langfristig:
- Trans Frauen erhalten bioidentes Östradiol (Gel, Pflaster oder Tabletten), häufig kombiniert mit Antiandrogenen oder GnRH-Analoga zur Hemmung der körpereigenen Testosteronproduktion.
- Trans Männer erhalten bioidentes Testosteron, meist als Injektion (alle 2–3 Wochen oder als Langzeitdepot) oder als transdermales Gel.
Die bioidente Formulierung ermöglicht eine fein dosierbare, individuell anpassbare und langfristig verträgliche Therapie. Sie unterstützt nicht nur die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale, sondern verbessert nachweislich das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität.
Wichtig ist die enge medizinische Begleitung – inklusive Laborwertkontrollen, Risikoabschätzung (z. B. bei Rauchern oder Thrombosevorgeschichte) und regelmäßiger Evaluierung der gewünschten Effekte.
Anwendung & Dosierung
Bioidente Hormone können auf verschiedene Arten verabreicht werden:
- Transdermal (Gel, Pflaster): gut steuerbare Aufnahme, umgeht den First-Pass-Effekt in der Leber
- Oral (Kapseln, Tabletten): z. B. bei Progesteron; beruhigende Wirkung auf das zentrale Nervensystem
- Vaginal oder kutan (Zäpfchen, Cremes): lokale Anwendung bei Schleimhautatrophie
- Injektion oder Implantate: vor allem bei Testosterontherapie
- Sublingual oder nasal (selten): schnelle Wirkung
Die Dosierung richtet sich individuell nach Beschwerden, Laborwerten und klinischem Verlauf – das ist zugleich Vorteil und Herausforderung, da ein „Schema F“ hier nicht funktioniert.
Vorteile bioidenter Hormone
- Körperidentisch: Gleiche Struktur = natürliche Rezeptorbindung
- Individuell dosierbar: Je nach Alter, Beschwerden, Stoffwechsel
- Vielfältige Applikationsformen: Gel, Kapseln, Pflaster etc.
- Besser verträglich: Weniger Nebenwirkungen im Vergleich zu synthetischen Hormonen
- Sicher bei korrekter Anwendung: Besonders bei transdermaler Gabe geringeres Thromboserisiko
- Psychologischer Effekt: Viele Patient*innen empfinden die Therapie als natürlicher und sanfter
Kritische Aspekte & Kontroversen
So vielversprechend bioidente Hormone klingen – sie sind kein Wundermittel. Es gibt auch kritische Stimmen:
- Irreführender Begriff „natürlich“: Viele Menschen verwechseln „bioident“ mit „pflanzlich“ oder „ungefährlich“. Fakt ist: Es handelt sich um potente Arzneistoffe, die falsch angewendet Schaden anrichten können.
- Keine Kassenleistung (oft): In Österreich und vielen anderen Ländern sind bioidente Hormonpräparate – vor allem in individueller Rezeptur – nicht erstattungsfähig.
- Selbstmedikation & Hormon-Selbsttests: Im Internet kursieren zahlreiche Anbieter, die Hormonanalysen und Therapien ohne ärztliche Begleitung anbieten – mit potenziell gefährlichen Folgen.
Gesellschaftliche Relevanz von Hormontherapie
Bioidente Hormone haben auch eine gesellschaftliche Dimension. Immer mehr Menschen – insbesondere Frauen – fordern eine individualisierte Medizin, die auf ihre Bedürfnisse eingeht. Viele fühlen sich mit Standardtherapien oder der pauschalen Ablehnung von Hormonen durch Hausärzte nicht ernst genommen.
Die Gender-Medizin rückt hormonelle Besonderheiten in den Fokus – sei es in den Wechseljahren, bei Endometriose oder in der Trans-Medizin. Hier bietet die bioidente Hormontherapie einen Ansatz, der nicht nur medizinisch, sondern auch politisch als inklusiv wahrgenommen wird.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Fachgesellschaften wie die North American Menopause Society (NAMS), die Endocrine Society und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie erkennen den Einsatz bioidenter Hormone – besonders bei klarer Indikation – als sinnvolle Alternative an, wenn:
- sie unter ärztlicher Kontrolle erfolgen,
- standardisierte Präparate verwendet werden,
- eine regelmäßige Verlaufskontrolle erfolgt.
Besonders mikronisiertes Progesteron (z. B. Utrogestan®) gilt als sicher und effektiv. Auch transdermales Östradiol ist inzwischen vielfach untersucht und empfohlen – insbesondere wegen des reduzierten Risikos für Thrombosen und Schlaganfälle.
Bioidente Hormone bieten viele Chancen – für Frauen in den Wechseljahren, bei hormonellen Dysbalancen, für trans Personen oder nach operativer Entfernung hormonbildender Organe. Sie können helfen, Symptome zu lindern, Wohlbefinden zu verbessern und Risiken zu senken.
Gleichzeitig erfordern sie ärztliche Erfahrung, individuelle Diagnostik und regelmäßige Kontrollen. Wer sich für eine bioidente Hormontherapie interessiert, sollte sich deshalb an spezialisierte Gynäkologinnen, Endokrinologinnen oder Trans-Medizin-Zentren wenden.
Denn: Natürlichkeit allein ist kein Garant für Sicherheit. Doch individuell abgestimmt und medizinisch begleitet können bioidente Hormone ein wertvoller Baustein in der personalisierten Hormonmedizin der Zukunft sein.
Hormonberatung Wien – bioidente Hormontherapie
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